Französchisch lernen #1 – Die Zweifel und die Wette

Hier ein Versuch einige der momentan stattfindenden Aktionen, Proteste und Texte gegen die Rentenreform und ihre Welt in Frankreich zusammenzutragen. Dies ist eine absolut unvollständige Übersicht, die aber hoffentlich Lust darauf macht sich zu widersetzen und vielleicht motivierend sein kann, auch hier den Konflikt mit der Herrschaft zu schüren.

Teil 1: Übersetzung eines Textes aus dem Französischen, „Les doutes et le pari“ erschienen im März 2023 in En grève jusqu’à la retraite – feuille d’agitation #3

Die Zweifel und die Wette

„Das Himmelsgewölbe ist ein bleierner Schleier, den man vergeblich zu durchdringen versucht, heute ignoriert man nicht mehr, sondern man zweifelt an“, Bruno Filippi

„Fernab von politischen Visionen und Opportunismus sind wir der Ansicht, dass die Möglichkeiten für aufständische Explosionen offen sind. Die manchmal schwierige Suche nach Komplizen im gesellschaftlichen Getümmel bleibt daher notwendig, ohne das Heil in der Anpassung in den launischen Winden der Zeit zu suchen oder die Revolte in die Enge einer Organisation zu zwängen“, Aufruf für ein internationales anarchistisches Treffen in Zürich 2012.

Schon seit einigen Monaten beobachtete ich mit einigen Kompliz*innen die soziale Lage genau und bereitete mich darauf vor, an den angekündigten Unruhen teilzunehmen. Ohne auf die offizielle Auslösung durch die Gewerkschaftsbürokratien zu warten, haben sich unsere diesbezüglichen Aktivitäten seit Ende Januar dennoch beschleunigt. Ich beschloss, mich an der „sozialen Bewegung“ zu beteiligen, indem ich mit einem Fuß in einer Kampfversammlung stand. Mit dem anderen Fuß kreierte ich zusammen mit anderen eine eigene Dynamik an der Schnittstelle zwischen einer affinen Gruppe und einem autonomen kollektiven Raum mit dem Titel „Im Streik bis zur Rente“.

Nichtsdestotrotz kommen mir in jedem Moment Zweifel : Ich versuche, mich an diesem Kampf zu beteiligen, indem ich versuche, durch Reden, Schreiben und Handeln eine anarchistische und revolutionäre Perspektive zu vermitteln, wobei ich befürchte, dass ich am Ende vielleicht als kleiner Handlanger einer entschieden reformistischen Perspektive enden könnte… Es ist schwierig, die Konturen einer möglichen Überwindung des politischen und gewerkschaftlichen Rahmens und einer möglichen Verallgemeinerung des Konflikts über die Frage der Renten hinaus zu erkennen, und wenn überhaupt, dann nur in Bruchstücken.

Ich hatte jedoch neben den Komplizenschaften auch die zahlreichen Gelegenheiten im Kopf, durch Gesten Schläge zu versetzen, insbesondere durch Zerstörung, die in den letzten Kontexten der Revolte leichter und vor allem teilbarer geworden sind. Aber von Revolte ist eben noch nicht die Rede: nur von Ausschreitungen und Versuchen, den Konflikt auszuweiten. Ich habe die Sackgasse der Strategie des Überlaufens mit all ihren inhärenten Grenzen vor Augen : Mindestens genauso wie gestern können sich die politischen und gewerkschaftlichen Logiken auf Ausschreitungen und direkte Aktionen stützen, um ihre Wahl- und Bürger*innenperspektiven zu stärken. Der rebellische Akt trägt seine Absichten nicht immer in sich. Wie kann man also eine echte Perspektive gegen die Macht, gegen das Prinzip der Autorität einbringen? Wie kann man daran arbeiten, die Situation zu überwinden und neue Breschen zu schlagen?

Es gibt auch (vor allem?) den Wunsch, etwas zu tun, und wenn schon, dann an der Seite anderer, anstatt mit demselben kleinen Zirkel. Es gibt wahrscheinlich sogar ein bisschen Aktivismus, und vor allem die Notwendigkeit, durch die Hektik aufrecht zu bleiben, ein bisschen intensiv im Hier und Jetzt zu leben: Es tut immer gut, auch für die geistige Gesundheit, wenn das Elend des Schnurrens der Normalität ein wenig aufbricht. Ich weiß nicht, was einen Aufstand, geschweige denn eine Revolution beschleunigen kann. Außerdem scheint es mir, dass es immer ein wenig mysteriös bleibt, etwas, das sich entzieht und sich erst im Nachhinein offenbart. Aber es ist sicher, dass es am Anfang eine Wette einiger abenteuerlustiger Menschen oder „die nicht wussten, dass es unmöglich ist“ ist, die auf einen fruchtbaren sozialen Boden und vielleicht günstige Bedingungen trifft, damit diese Wette bei vielen Menschen auf Resonanz stößt (denn hinter diesem Begriff der Bedingungen stehen vor allem natürliche Personen). Was die Sache kompliziert macht, ist, dass diese Bedingungen und diese Befruchtung nur selten dieselben sind: Was zu einem bestimmten Zeitpunkt förderlich war, ist nicht unbedingt auch beim nächsten Mal förderlich. Und in jedem Fall ist es immer zuerst der Wille und die Entschlossenheit realer Individuen, die etwas möglich machen.

Ich mache mir jedoch wenig Illusionen darüber, was ein solcher sozialer Kampf in der nächsten Zeit bewirken könnte. Zumindest eine leichte Verlangsamung des Schraubenanziehens auf allen Ebenen? Wie dem auch sei, im Moment bin ich lieber dabei: Es stärkt Affinitäten, webt neue Komplizenschaften (was gut tut in Kreisen, die sich schwer tun, sich zu erweitern), setzt eine revolutionäre Gymnastik fort, wie man früher sagte, und ermöglicht die Verbreitung von Ideen und Praktiken gegen die Arbeit, die Ideologie des Fortschritts, das Eingesperrtsein, die Hierarchie usw., in einer Zeit, die für die Rezeption günstiger ist. Eine Diskussion in einem besetzten Hörsaal, ein Bier in der einen, eine Farbdose in der anderen Hand; Slogans gegen die Arbeit, die als Reaktion auf Aufrufe, sich bis 60 ausbeuten zu lassen, aufgegriffen werden; komplizenhafte Körper, die den Krach einer Bank tarnen; Spähgänge mit Personen, die manchmal noch vor wenigen Wochen fast Unbekannte waren… Das ist nicht viel, aber es macht Lust auf mehr und weckt einige (wahrscheinlich etwas überbewertete) Erwartungen. Und immerhin zeigen sich weltweit einige Anzeichen von Überdruss, von der Revolte in Chile bis zur Revolte in den USA, vom Aufstand der Gelbwesten in Frankreich bis zum Aufstand im Iran oder im Sudan. Wie auch immer, angesichts der aktuellen Katastrophen ist die Revolution der klarste und nicht der riskanteste Ausweg. Sie könnte sehr wohl früher als gedacht auftauchen, innerhalb von Lücken, die wir uns noch nicht vorstellen können.

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